Den großen Katzen – Löwen, Tigern, Leoparden – gilt die Leidenschaft des jungen russischen Dompteurs Wladimir Ssabenjew. In Wien lernt er Susy kennen, die die Tiere liebt wie er. Sie heiraten und nehmen das Angebot eines reichen Amerikaners an, in seiner Tierschau in Florida zu arbeiten. Auch aus Hollywood kommen vielversprechende Aufträge für Dressurnummern. Sie sind glücklich, bis Susy sich eines Tages in die Idee verrennt, einen schwarzen Jaguar, Noar, zu zähmen – etwas, was bis dahin noch keinem Menschen gelungen ist. Packend erzählt der große Tierschriftsteller William Quindt die Geschichte von der Fremdheit zwischen Mensch und Tier. Wenn Sie die Geschichte von Susy hören wollen, von Susy aus Wien und dem samtschwarzen Untier vom Amazonas, an dem sie verdarb, dann kann nur ich Ihnen diese Geschichte erzählen. Susy spricht zwar noch viel, aber was sie redet, ist dummes Zeug, und Pat – nun, Pat ist ein Mädchen aus Kalifornien, sie hat damals das schwarze Untier ausgelöscht und damit alle Verstrickungen gelöst, aber von ihr werden Sie nichts hören als dürre und nackte Tatsachen, ›facts‹, wie sie sagt. Jedoch sind die Tatsachen in dieser Geschichte nur von geringer, vielleicht von keiner Bedeutung. Eine böse Geschichte, Herr, eine düstere Geschichte, ich weiß nicht, ob es Ihnen angenehm sein wird, wenn ich sie erzähle. Denn ich kann nur berichten, was ich erlebt habe und wie ich es erlebte, ich muss also immer wieder oder immer nur von mir selbst sprechen. Ich selbst … Sehen Sie mich hier sitzen im Singapore-Stuhl auf der Veranda meines Wohnwagens! Im Wagen schläft Pat, die Bäume rings um den Platz rauschen leise im warmen Wind der Sommernacht. Ich habe das Dach zurückgeschlagen, die Sterne kreisen funkelnd über den Himmel. Mir gegenüber dunkelt eine lange Wagenreihe, und auch hinter ihren Gitterwänden wandern Sterne. Das sind die Augen der Löwen und Tiger und Leoparden, die mir anvertraut sind und mit denen ich befreundet bin, mehr als hundert Tiere. Ich sitze und sehe zu ihnen hinüber, hinter meinem Rücken läuft der Zirkuszaun, er trennt mich und meine Tiere von der Welt. So ist es mein ganzes Leben hindurch gewesen, und so finde ich es gut, denn die Welt jenseits des Zirkuszaunes ist mir unverständlich, fremd, und erscheint mir oft grausam feindlich. Aber ich weiß nicht, ob ich den Menschen von jenseits des Zaunes nicht ebenso unverständlich bin wie sie mir. Haben Sie auch das leise, dunkle Röhren gehört? Das war der Tiger Prinz, er hat vor zwei Tagen seinen Dompteur angefallen und hat sich noch nicht wieder beruhigt. Das grelle Getöse jetzt eben kam aus dem Elefantenstall. Sie schlafen nur wenige Stunden, die großen Tiere, sie fressen allzu viel, um lange geruhig schlafen zu können, sie stehen auf, um sich auf die andere Seite zu legen, auch lösen sie sich ab in der Wache. Ja, auch hier im Zirkusstall wacht immer ein Tier über den Schlaf der anderen. Aber, bitte, achten Sie darauf, dass ich nicht vom Elefanten spreche, denn das nimmt dann kein Ende, wer sich auf den Elefanten setzt, bestimmt nicht mehr über seinen Weg. Der Tigerdompteur? Er liegt im Krankenhaus, wir rechnen drei Monate bis zu seiner Genesung, er hat Glück gehabt, eh bien, que voulez vous, c'est le bonbon du métier. Ich soll also erzählen. Nein, die Sprache macht mir keine Schwierigkeiten, Sie hören es wohl. Ich spreche ein wenig schwer und langsam, dunkel und hart, ja, ja, ich weiß. »Wie ein Bär sprichst du das Deutsche!«, lachte Susy immer, Susy aus Wien. Das Französische soll ich besser sprechen, aber ich komme auch gut durch die Balkanländer und von Italien und Spanien bis Südamerika. In den beiden letzten Jahrzehnten jedoch ist mir das Amerikanische wert geworden. Wenn die Tiere sprechen könnten, meine ich, würden sie einen herzhaften Slang aus dem mittleren Westen sprechen – nur die Bären nicht, die Bären und die Wölfe und die Luchse sprechen russisch.
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